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„Not sehen und handeln“ – Krankenbesuche im polnischen Bialystok

19.09.2017     "Es war wieder einmal eine erfüllte, intensive Besuchswoche mit Begegnungen, die davon geprägt sind, dass sich Menschen freuen, dass wir sie nicht vergessen haben, dass wir uns dafür interessieren, was ihnen geschehen ist und wie sie überlebt haben", sagen Silvia und Matthias Mader aus Dresden, die Ende August zu Krankenbesuchen in Polen waren.

Besuch bei Wlodzimierz Jakubowski durch (v.r.n.l.) Silvia und Matthias Mader und Dorota Michowska-Gorysz

Während der sechs Tage in der nordostpolnischen Stadt Bialystok traf das ehrenamtlich engagierte Ehepaar 16 KZ- und Ghettoüberlebende an und lernte neben ihren persönlichen Schicksalen auch ihre aktuelle familiäre und materielle Situation kennen. "Not sehen und handeln" ist das Motto dieser Besuche, denn sie helfen, die Bedarfslage der Menschen vor Ort zu ermitteln, damit das Kolbe-Werk die benötigten Hilfen auf den Weg bringen kann.

Organisiert wurden die Besuche von Dorota Michowska-Gorysz, Tochter des 2016 verstorbenen Auschwitz-Überlebenden Marek Michowski, der sich viele Jahre lang als Vertrauensperson des Kolbe-Werks um seine Kameraden in Bialystok kümmerte. "Dorota hat die Besuche sehr gut vorbereitet und uns jeden Tag engagiert begleitet. Es war ihr anzuspüren, dass sie die Arbeit ihres Vaters als Erbe und innere Verpflichtung ansieht und die Aufgabe mit großer Leidenschaft weiterführt", sagt Silvia Mader. Für die gute Verständigung sorgte Joanna Grala, die als Dolmetscherin mitreiste.

"Täglich haben wir zwei bis drei Personen besucht und hatten dabei viel Zeit für die einzelnen Besuche. Nicht selten haben wir zwei Stunden in den Wohnungen von ehemaligen Häftlingen verbracht. Diese langen Aufenthalte haben den Erzählfluss positiv gefördert," stellt Matthias Mader fest.

Wlodzimierz Jakubowski

Wie wir von den Ehrenamtlichen erfahren, können die meisten der besuchten Überlebenden in ihrer häuslichen Umgebung bleiben, "sei es weil sie noch selbst den Haushalt führen oder mit hoher Einsatzbereitschaft ihrer Angehörigen rechnen können. Altersheime scheinen noch immer die Ausnahme in Polen zu sein, daher haben wir auch nur eine Person, Herrn Jakubowski, im Heim in Bialowieza, 85 km von Bialystok entfernt, besucht." 

Wlodzimierz Jakubowski (*1928), Überlebender der Konzentrationslager Stutthof und Mauthausen, hat sich sichtlich über den Besuch aus Deutschland und die mitgebrachten Geschenkpakete gefreut. Er erfährt viel Aufmerksamkeit im Heim und ist mit der Betreuung höchst zufrieden. Die Unterbringung zahlt er von seiner Rente.

Bronislawa Perkowska

"Persönlich haben uns auch ein paar Bezüge zu unserem Lebensort Sachsen berührt", erzählt Silvia Mader. So berichtete ihr die 96-jährige Ravensbrück-Überlebende Bronislawa Perkowska aus Lapy, dass sie u.a. in Leipzig Zwangsarbeit verrichtet hatte. Frau Perkowska lebt gemeinsam mit ihrer Tochter, von der sie auch versorgt wird. Das Maximilian-Kolbe-Werk unterstützt Frau Petrowska jährlich mit einer Beihilfe.

Monika Poplawska

Monika Poplawska (*1923) erzählte, wie sie in Plauen/ Vogtland in einer Glühbirnenfabrik Zwangsarbeit leisten musste", führt Silvia Mader weiter aus.  "Sehr anschaulich berichtete sie davon, wie sich Frauen aus Brotkrumen Rosenkränze fertigten. Während eines solchen Rosenkranzgebets wurde das Fabrikgebäude von einer Fliegerbombe getroffen, die aber nicht explodierte. ‚Dies war der Schutz der Muttergottes‘, war sich Frau Poplawska sicher.“

Halina Janek

Halina Janek (*1943) ist ein Kind des Holocaust. "Sie wirkt stark belastet von den Ereignissen ihrer Kindheit und den Erfahrungen, die sie im Laufe ihres Lebens verarbeiten musste," erzählt Matthias Mader. "An ihrem Beispiel wird deutlich, welche Auswirkungen der Holocaust auch auf kleinste Kinder hatte und noch heute das Leben der Betroffenen beeinflusst." Frau Janek lebt mit ihrem Mann und dem behinderten Sohn Adam.

Während der Besuche kam wiederholt zur Sprache, dass manche KZ- und Ghettoüberlebenden in früheren Jahren vom Maximilian-Kolbe-Werk zu Erholungs- und Begegnungsaufenthalten nach Deutschland eingeladen wurden. "Sie berichteten von liebevoller Betreuung durch deutsche Ehrenamtliche und zeigten Bilder, auf denen wir u.a. die Ehrenamtlichen des Kolbe-Werks Monika Herdemerten und Maria Lulkiewicz aus Berlin erkennen konnten".

Die folgende Zusammenfassung einiger Krankenbesuche beruht auf den Aufzeichnungen und dem Bildmaterial des Ehepaars Silvia und Matthias Mader, wobei in manchen Fällen, z.B. wenn bei den Besuchten Bettlägerigkeit besteht, auf Bilder verzichtet wird.

Tadeusz Lapinski

Tadeusz Lapinski (*1919) aus Lapy überlebte die Konzentrationslager Groß-Rosen und Mittelbau-Dora. Er las ganz genau die ihm überreichte Grußkarte des Maximilian-Kolbe-Werks und betonte, wie wichtig ihm der Besuch aus Deutschland war. Der 98-Jährige lebt mit seiner Ehefrau, mit der er seit 70 Jahren verheiratet ist. Zwei Pflegekräfte kümmern sich um die beiden: Herr Lapinski kann seit sechs Jahren die Wohnung nicht mehr verlassen und seine Frau leidet an Alzheimer. Im Frühjahr 2017 wurde er vom Maximilian-Kolbe-Werk mit einer Beihilfe unterstützt, damit u.a. sein Badezimmer krankengerecht umgebaut werden konnte.

Die Ravensbrück-Überlebende Janina Wysocka (*1923) aus Tykocin ist seit ihrem Schlaganfall vor zwei Jahren bettlägerig. Sie ist demenzkrank und wird von ihrem Sohn und der Schwiegertochter, mit denen sie zusammen wohnt, liebevoll umsorgt. Auch die drei Enkel kümmern sich um die Großmutter.

Albin Kirejczyk

Albin Kirejczyk (*1916) aus Bialystok war 2,5 Jahre im Konzentrationslager  Stutthof inhaftiert. Der ehemalige Jurist lebt seit dem Tod seiner Frau allein. Herr Kirejczyk hat eine kleine, einfache, aber gepflegte Wohnung im 4. Stock. Die Wohnung kann er seit drei Jahren nicht mehr verlassen, da es keinen Aufzug gibt. Nach einem Beinbruch ist er bewegungseingeschränkt. Versorgt wird der 100-Jährige von drei Betreuungskräften, die er selbst bezahlen muss. Seine Tochter lebt in England.

Ehepaar Obrembalski, rechts die Dolmetscherin Joanna Grala

Jerzy Obrembalski (*1942) aus Sokotka war als Einjähriger mit seiner Mutter in Majdanek inhaftiert. Durch Bestechung eines Wachmanns sind die beiden freigekommen. Herr Obrembalski erlitt vor 2 Jahren einen Schlaganfall, mit bleibenden Beeinträchtigungen hat er bis heute zu kämpfen. Seine Ehefrau kümmert sich um ihn. Auch seine zwei Kinder und Enkel wohnen im Ort und kommen regelmäßig zu Besuch.

Helena Rysiak (*1924) aus Bialystok ist bettlägerig und kann seit sieben Jahren ihre Wohnung nicht verlassen. Sie lebt allein, hat aber eine Rundumbetreuung durch eine privat bezahlte Pflegekraft. Auch ihre Tochter und Schwiegersohn besuchen Frau Rysiak täglich. Das Maximilian-Kolbe-Werk hat Frau Rysiak im März 2017 eine finanzielle Beihilfe zukommen lassen, um sie bei den hohen Ausgaben für Pflege zu entlasten.

Michal Maksimowicz

Michal Maksimowicz (*1923), überlebte die Konzentrationslager Groß-Rosen, Flossenbürg und Dachau. Er ist Witwer und lebt allein. Seine Großnichte wohnt in der Nähe und versorgt ihn.

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