Maximilian-Kolbe-Werk e.V.

Zeitzeugenprojekt Lingen 2016

(Bericht und Fotos: Markus Wellmann, Ludwig-Windthorst-Haus)

Das Zeitzeugenprojekt mit sechs polnischen Überlebenden der Konzentrationslager und Ghettos an Schulen in Lingen und Umgebung wurde vom Maximilian-Kolbe-Werk im Zeitraum 4. bis 18. Juni 2016 durchgeführt.

Zu Gast waren die vier Frauen und zwei Männer im Alter zwischen 78 und 90 Jahren aus Warszawa, Czeladz und Bydgoszcz im Ludwig-Windthorst-Haus (LWH), der Katholisch-Sozialen Akademie des Bistums Osnabrück im Lingener Ortsteil Holthausen.

Als Kooperationspartner des Maximilian-Kolbe-Werks war das Ludwig-Windthorst-Haus für Unterbringung und Verpflegung sowie die Durchführung des Projekts vor Ort verantwortlich. Begleitet wurden die Gäste von Marianne Drechsel-Gillner, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Maximilian-Kolbe-Werks, und von Markus Wellmann, Studienleiter im LWH. Im Vorfeld engagiert wurden drei Dolmetscher/-innen, die zusammen mit Marianne Drechsel-Gillner für die Übersetzung der Zeitzeugenberichte ins Deutsche und die Moderation der Diskussionsrunden sorgten: Elisabeth Tondera, freie Journalistin aus Lingen, Agnes Kläsener (LWH-Studienleiterin in Elternzeit) und Mark Radtke, Student der katholishcen Theologie in Bochum.

Besucht wurden insgesamt sieben Schulen in Lingen, Geeste und Bad Bentheim. Die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 8 bis 10 teilten sich klassen- oder gruppenweise auf, um eine gute Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Die jeweiligen Gespräche dauerten zwei Unterrichtsstunden.

Für die polnischen Gäste war der Besuch in Niedersachsen eine Reise in die Vergangenheit, als sie sich auf den Weg zu den Zeitzeugengesprächen nach Lingen machten. In den Schulklassen berichteten sie während ihres zweiwöchigen Aufenthalts von ihren schrecklichen Erfahrungen zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes, das in den dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Europa herrschte.

Einen besonderen Eindruck haben in diesem Jahr die Erlebnisberichte von Alodia Witaszek-Napierala und Ryszard Gwiazda bei Schülerinnen und Schülern hinterlassen. Beide waren als Kinder Opfer der sogenannten "Germanisierung" geworden. Die Rassenlehre als Teil der nationalsozialistischen Ideologie wurde dadurch praktisch, dass die germanische Kultur und Sprache als vermeintlich überlegene verbreitet und andere verdrängt, unterdrückt und vernichtet werden sollten. Besonders polnische, russische und weißrussische Kinder wurden ihren Familien entrissen und in deutsche Familien gegeben. Ein solches Schicksal ereilten auch Alodia Witaszek-Napierala und Ryszard Gwiazda. Die Berichte dieser beiden Zeitzeugen stellten einen Teil der nationalsozialistischen Herrschaft dar, der in dieser Form überwiegend nicht Teil des heutigen Geschichtsunterrichts in den Schulen ist.

Aber auch die übrigen Zeitzeugen boten den Schülerinnen und Schülern mit ihren Erfahrungsberichten vom Warschauer Aufstand 1944, den sogenannten "Todesmärschen", dem Leid in den Konzentrationslagern und schließlich von der Befreiung durch alliierte Truppen im Jahr 1945 einen authentischen und nahbaren Einblick in dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte.

"Ein absolut wichtiger Besuch in unserer Schule, Menschen kennen zu lernen, von den betroffenen zu hören, was sie erleben und erleiden mussten. In unseren Geschichtsbüchern steht darüber nichts", fasste ein Zehntklässler seine Eindrücke von der Zeitzeugenbegegnung zusammen. Eine andere Schülerin sagte, sie sei dankbar, die Zeitzeugen erlebt zu haben. "Ich weiß nicht, ob die jüngeren Schüler noch diese Chance bekommen".

Als Ausgleich zu den Zeitzeugengesprächen wurde ihnen die Möglichkeit geboten, den Nordwesten Deutschlands und sogar die angrenzenden Niederlande zu besichtigen und kennen zu lernen, wovon die betagten Gäste gerne Gebrauch machten.

Das Besichtigungs- und Kulturprogramm zeichnete sich durch das große Interesse der besuchten Städte an einer Begegnung mit den Zeitzeugen aus. In den Städten Lingen, Osnabrück und Haren wurde die Gruppe von den Ersten Bürgermeistern empfangen. Weitere Besichtigungen unternahmen die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen u.a. nach Ootmarsum (Niederlande, Galerie des Malers Ton Schulten), Sögel (Barockschloss Clemenswerth), Nordhorn (Oberzentrum der Grafschaft Bentheim) sowie Osnabrück (Stadt des Westfälischen Friedens von 1648 sowie Bischofssitz). Die nähere Umgebung stellten der Fotograf Richard Heskamp mit einer Diashow und der Direktor des Emslandmuseums Dr. Andreas Eiynck mit einer Rundfahrt durch Lingen vor. Kreativität gefragt war bei einem Besuch des Kulturzentrums Freren: In der Kunstschule SpuK wurden die polnischen Gäste künstlerisch tätig.

Beim Abschlussabend dankte der Direktor des Ludwig-Windthorst-Hauses, Dr. Michael Reitemeyer, den polnischen Gästen für ihren Besuch und die lebendigen Zeugnisse aus der Geschichte. Der Besuch der Zeitzeugen sei eine Bereicherung für das Haus, was auch an dem großen Interesse der Mitarbeiterschaft an einem eigens veranstalteten Zeitzeugengespräch im LWH abzulesen sei.

Das Zeitzeugenprojekt in Lingen wurde durch die Mittel der Lotterie "GlücksSpirale" gefördert.