Maximilian-Kolbe-Werk e.V.

Begegnungen in Kyiv

80. Jahrestag des Massakers von Babyn Jar und finanzielle Hilfen für KZ- und Ghetto-Überlebende

12.10.2021     Anlässlich des 80. Jahrestags des Massakers von Babyn Jar reiste unser Geschäftsführer Christoph Kulessa letzte Woche in die ukrainische Hauptstadt Kyiv. In der Schucht von Babyn Jar ermordeten SS-Einheiten Ende September 1941 in weniger als 48 Stunden mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Während der deutschen Besatzung Kyivs verloren bei Massenerschießungen in Babyn Jar und an anderen Orten unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 150 000 und 200 000 Menschen ihr Leben, darunter Juden, Roma, sowjetische Kriegsgefangene, Partisanen, ukrainische Nationalisten, Menschen mit Behinderung.

Neben der Teilnahme an der offiziellen Gedenkveranstaltung am 6. Oktober konnte Christoph Kulessa viele KZ- und Ghetto-Überlebende zuhause besuchen und ihnen finanzielle Beilhilfen des Maximilian-Kolbe-Werks überreichen. Begleitet wurde er dabei von Olena Noha von unserer Partnerorganisation Caritas-Spes Ukraine.

"Es war meine erste Reise in die Ukraine überhaupt", sagte Christoph Kulessa. "Trotz des traurigen Anlasses nehme ich auch freudige Erinnerungen mit, denn ich durfte viele Menschen kennenlernen, die mich mit ihrer ansteckenden Lebensfreunde und unendlichen Gastfreundschaft beeindruckt haben."

Christoph Kulessa war fünf Tage in der ukrainischen Hauptstadt Kyiv unterwegs, wo er KZ- und Ghetto-Überlebende zuhause besuchte und ihnen Hilfen des Maximilian-Kolbe-Werks überbrachte. Eine von ihnen war die Holocaust-Überlebende Larisa Dorozenkovskaya. "Über unseren Besuch hat sich die 87-Jährige ungemein gefreut", sagt Christoph Kulessa. "Im vergangenen Jahr war sie pandemiebedingt gerade mal zwei Mal vor der Tür!". Larisa Dorozenkovskaya ist Witwe und wohnt allein. Vor kurzem hatte sie eine große Herzoperation, leidet aber trotzdem an hohem Blutdruck und muss viele Medikamente nehmen. Unterstützung im Haushalt bekommt sie von der jüdischen Hilfsorganisation "Hesed".
Olena Noha von der Caritas-Spes begleitete Christoph Kulessa bei den Hausbesuchen und sorgte für die Sprachvermittlung. Hier liest sie für die Auschwitz-Überlebende Nadja Vasilevskaya (82) die Grußkarte des Maximilian-Kolbe-Werks vor. Frau Vasilevskaya stammt ursprünglich aus Weißrussland und wurde als Kleinkind mit ihrer Mutter ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Nach der Befreiung kam sie in ein Kinderheim in Kyiv. Über ihre leiblichen Eltern ist ihr nichts bekannt. Im Kinderheim blieb Nadja bis zum 14. Lebensjahr, suchte sich dann eine Berufsschule und wurde Näherin. Diesen Beruf übte sie bis zur Rente aus. 2004 besuchte sie auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werks Deutschland und blieb im Rahmen eines Erholungsaufenthalts zwei Wochen lang in Billigheim. Heute lebt Nadja Vasilevskaya allein, ihr Mann ist vor Jahren verstorben, Kinder hatte sie keine. Olena Noha, die in der Nähe wohnt, will mit Nadja Vasilevskaya in Kontakt bleiben und ihr bei Bedarf beim Einkaufen helfen.
Einer der Besuchten war Volodymyr Spakowskiy. Der KZ-Überlebende ist bettlägerig und erhält seit einem Jahr häusliche Betreuung und Pflege, die das Maximilian-Kolbe-Werk für ihn organisiert und bezahlt. Auch ein Pflegebett und eine Dekubitus-Matratze haben wir für den 81-Jährigen angeschafft. "Meine Lebensfreude kommt langsam zurück", sagte er.
Aleksandra Perewersewa (95) freute sich über den Besuch aus Deutschland. Die Auschwitz-Überlebende sieht und hört schlecht. Sie erzählte ausführlich über ihre Zeit im Konzentrationslager und über die Zwangsarbeit in Österreich. Aleksandra Perewersewa zeigte sich überrascht, aber gleichzeitig gerührt, dass man in Deutschland noch an sie denkt.
Die 95-jährige Anastasia Gulei lud die Besucher gleich zum Abendessen ein und servierte verschiedene ukrainische und moldauische Gerichte wie gefüllte Paprika, die sie selbst zubereitet hatte. Die Überlebende von Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen lebt mit ihrer Tochter in einem kleinen Häuschen am Rande der Stadt. Sie ist noch als Zeitzeugin sehr aktiv, nimmt auch regelmäßig an unseren digitalen Zeitzeugengesprächen mit Schüler/innen teil. Eines ihrer Hobbys ist Sticken. Zum Abschied zeigte sie den Gästen ein gesticktes Bild mit der Rose, die aus dem Stacheldraht wächst.
Neben den Hausbesuchen gab es auch ein Treffen mit KZ- und Ghetto-Überlebenden. "Wir haben uns über die aktuelle Situation in der Ukraine ausgetauscht. Die Coronavirus-Pandemie und der immer noch andauernde Krieg im Osten des Landes waren dabei die wichtigsten Themen", sagt Christoph Kulessa.
Am 6. Oktober nahm Christoph Kulessa gemeinsam mit einigen Holocaust-Überlebenden an der Gedenkveranstaltung anlässlich des 80. Jahrestags des Massakers von Babyn Jar teil. Unter den geladenen Gästen waren auch die Präsidenten von Deutschland und Israel.
Die audiovisuelle Installation "Spiegelfeld" im Gedenkzentrum Babyn Jar erinnert an die Opfer des Massakers und des "Holocaust durch Kugeln", der geschätzt zwei Millionen Menschenleben bei Massenerschießungen in verschiedenen Orten der Ukraine forderte. Die Installation ist in Form von Säulen mit Lautsprechern aufgebaut, aus denen die Namen der Opfer von Babyn Jar von den Stimmen von Erwachsenen und Kindern gesprochen werden.
Neben dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier war auch Dr. Borys Zabarko, Historiker und Holocaust-Überlebender, einer der Redner bei der Gedenkveranstaltung. Er ist Vorsitzender der Ukrainischen Vereinigung ehemaliger minderjähriger Ghetto-Hänflinge, mit der wir seit vielen Jahren bei der Realisierung verschiedener Hilfsprojekte zusammenarbeiten.
Ein Stolperstein für den im letzten Jahr verstorbenen Vasyl Michailovskiy (1937 -2020): Als Vierjähriger konnte er dem Massaker von Babyn Jar entkommen, indem er von seinem ukrainischen Kindermädchen gerettet wurde. Die ukrainische Aufschrift heißt übersetzt: "Hier wohnte Vasyl Michailovskiy, geboren 1937, verhaftet am 29.9.1941, gerettet am 30.9.1941, überlebte im Versteck".