Maximilian-Kolbe-Werk e.V.

"Erinnern für die Zukunft"

Digitale Zeitzeugenbegegnungen an Schulen in Baden-Württemberg

30.11.2021     Das Zeitzeugenprojekt "Erinnern für die Zukunft" an Schulen in Baden-Württemberg wurde vom Maximilian-Kolbe-Werk in diesem Jahr mit vier Zeitzeugen aus Polen, Ungarn und aus der Ukraine im Rahmen von elf Videoschaltungen auf Zoom durchgeführt. Gefördert wurde die Maßnahme von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

Digitale Begegnung zwischen Schülern der Tulla-Realschule Karlsruhe und Anastasia Gulei (95) aus der Ukraine am 10.11.2021.

Interessierte Schulen konnten sich direkt über ein Online-Formular auf unserer Webseite zu den digitalen Begegnungen anmelden. Nach der ersten Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung wurden mit den Schulen bei Bedarf Probetreffen veranstaltet, die dem Technikcheck und der Klärung organisatorischer Fragen dienten. Jede Schule erhielt zudem zur besseren Vorbereitung Kurzbiografien der teilnehmenden Zeitzeugen. Des Weiteren erstellte die Projektverantwortliche Dr. Danuta T. Konieczny in Zusammenarbeit mit Zeitzeugen PowerPoint-Präsentationen, die während der Online-Begegnungen gezeigt wurden. Da die meisten Zeitzeugen kein Deutsch sprechen, engagierte das Werk professionelle Dolmetscher, die die Gespräche simultan übersetzten.

Die Zeitzeugenbegegnungen an zehn Schulen in Freiburg, Karlsruhe, Bad Krozingen, Emmendingen, Lörrach und Wilhelmsdorf fanden im Zeitraum April bis November statt. Sie dauerten im Durchschnitt zwei Unterrichtsstunden, wobei immer mindestens zwei Schulklassen teilnahmen. Je nach Pandemielage schalteten sich die Schüler aus ihren Klassenzimmern oder von Zuhause aus zu. Nach einer kurzen Begrüßung und der Vorstellung der Schule durch Lehrer oder Schüler (häufig in der Muttersprache der Zeitzeugen Polnisch oder Russisch) folgte der simultan gedolmetschte Zeitzeugenbericht.

Nach dem Zeitzeugenbericht stellten sich die Zeitzeugen den Fragen der Jugendlichen.

Im Anschluss an die Berichte stellten sich die Zeitzeugen den Fragen der Schüler, welche im Vorfeld vorbereitet wurden oder im Gesprächsverlauf entstanden sind. Am häufigsten wurde gefragt, wie die Zeitzeugen das Erlebte verarbeitet hätten, was sie heute gegenüber den Deutschen empfinden und wie sie sich die Zukunft der Erinnerung vorstellen würden.

In den Schulen wurden die Online-Begegnungen in den nachfolgenden Unterrichtsstunden nachbereitet und ausgewertet. So antwortete eine Schülerin des Sozialwirtschaftlichen Gymnasiums Emmendingen auf die Frage "Welche Informationen waren für Dich besonders wichtig?": "Wie grausam und hinterhältig die ganze Verfolgung durch die Deutschen abgelaufen ist, mit den vermeintlichen Lügen zur Arbeit mit Brot als Entlohnung, dem Tanzen lassen der Juden auf der Straße und den Hausdurchsuchungen mit brutalen Tötungen".

"Gute Alternative zu Präsenzveranstaltungen"

Zeitzeugengespräch mit Mikolaj Sklodowski aus Sopot/ Polen an der Otto-Lilienthal-Realschule Wilhemsdorf am 19.07.2021.

Die digitalen Begegnungen wurden von allen Beteiligten als sehr bereichernd empfunden und als eine gute Alternative zu Präsenzveranstaltungen bewertet. So schrieb eine Lehrerin des Kreisgymnasiums Bad Krozingen in einer Mail an das Maximilian-Kolbe-Werk: "Ich danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe und Unterstützung, dass wir das Gespräch mit Frau Budnicka doch noch ermöglichen konnten! Die Schüler*innen waren sehr beeindruckt und haben viel aus dem Gespräch mitgenommen. Allein die Feststellung einer Schülerin, dass nach Frau Budnickas Erzählungen "alles andere relativiert" wird, was man selbst als Belastung im Alltag wahrnimmt, ist eine so wichtige Erfahrung, die ich als Lehrerin niemals vermitteln könnte und dafür bin ich dankbar".

Wie wichtig diese Begegnungen für beide Seiten sind, brachten teilnehmende Zeitzeugen und einige Schüler selbst zum Ausdruck:

Mikolaj Sklodowski (76), Sopot/ Polen: "Seit fast zwei Jahren hatte ich keinen direkten Kontakt mehr zu deutschen Schülern. Dank der modernen Technik funktioniert es wieder, was mich unheimlich freut".

Anastasia Gulei (95), Kiew/ Ukraine: "Dass ich überlebt habe, hat einen Sinn darin, dass ich meine Geschichte an Euch weitergeben kann. Was ich erlebt habe, ist die Vergangenheit. Ihr seid die Zukunft. Ihr dürft bald wählen, dürft selbst politische Verantwortung übernehmen. Tut alles dafür, dass so etwas nie wieder geschieht."

Krystyna Budnicka aus Warschau kam im Rahmen des Projekts fünfmal zum Einsatz. Am 17.11.21 erzählte sie ihre Lebensgeschichte Schülern des Walther-Eucken-Gymnasiums Freiburg.

Krystyna Budnicka (89), Warschau/ Polen: "Wie lange habe ich noch zu leben? Ich hoffe, dass ich Euch in Erinnerung bleibe, als jemand, der über diese schreckliche Zeit aus erster Hand berichten konnte".

Ein Schüler des Hebel-Gymnasiums Lörrach: "Natürlich wäre ein "echtes" Gespräch besser gewesen, aber auch so bin ich beeindruckt, wie gut sich Frau Budnicka mit der neuen Technik auskennt und sich nicht von ihr verunsichern lässt."

Eine Schülerin des Kreisgymnasiums Bad Krozingen: "Ich denke, es ist unglaublich wichtig, dass auch wir Jugendlichen von den Schicksalen der Menschen im Zweiten Weltkrieg erfahren, damit die Grausamkeiten und der Holocaust nicht verdrängt werden können".

Öffentliche Abendveranstaltung

Zum Gespräch mit Eva Fahidi-Pusztai (95) aus Budapest schalteten sich 70 Studierende der Universität Freiburg zu.

Einen großen Eindruck hinterließ bei rund 70 Zuhörern der Abendvortrag aus der Reihe "Zeitzeugen der NS-Zeit im Gespräch", der am 28. April in Zusammenarbeit mit dem Colloquium politicum der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg durchgeführt wurde. Als Zeitzeugin schaltete sich die Holocaust-Überlebende Eva Fahidi-Pusztai (95) aus Budapest/ Ungarn zu. Im Rahmen des Online-Gesprächs unter dem Titel "Ich muss meine Geschichte erzählen..." legte die deutschsprachige Zeitzeugin nicht nur ihr Zeugnis über die Vergangenheit ab, sondern sprach auch Erscheinungen an, die aktuell von Bedeutung sind: Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus.

Nach der Veranstaltung schickte uns eine Zuhörerin eine Nachricht via Facebook: "Vielen Dank für das bewegende Gespräch. Ich wünsche uns allen ein Leben ohne Angst und Hass - so wie es Frau Fahidi-Pusztai uns allen wünschte!"

Das Gespräch mit Eva Fahidi-Pusztai wurde aufgezeichnet und ist auf unserem YouTube-Kanal veröffentlicht. Es verzeichnet mittlerweile mehr als 1800 Aufrufe von Nutzern. Die Aufzeichnung ist abrufbar unter dem folgenden Link:

https://www.youtube.com/watch?v=V93AR4iSyjg.