Maximilian-Kolbe-Werk e.V.

„Es ist unbegreiflich"

Ukrainische KZ-Überlebende zwischen Todesangst und Unverständnis

11.05.2022     "Es ist unbegreiflich, wie die Nachkommen der Rotarmisten, die mich 1945 aus dem KZ Auschwitz befreit haben, 77 Jahre später mein Land angreifen und zerstören können." Diesen Satz hören wir von den ukrainischen KZ-Überlebenden in den letzten Wochen häufig.

So geht es auch der 98-jährigen Oleksandra Gruschko aus Kosjatyn/ Region Vinnytsja. Im 2. Weltkrieg hat sie die Konzentrationslager Majdanek und Auschwitz überlebt. Im letzteren war sie zweieinhalb Jahre inhaftiert, bis sie am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit wurde.

"Unsere Stadt wurde vor kurzem wieder von den Russen bombardiert. Es gab Tote und Verletzte", erzählt die Sozialarbeiterin Natalia, die sich um Frau Gruschko kümmert. Kosjatyn in der Zentralukraine ist ein wichtiger Eisenbahn-Verkehrsknotenpunkt und jetzt im Krieg ein bedeutender Umschlagsplatz für Passagiere, in erster Linie Geflüchtete aus der Ost-und Südukraine, sowie für Frachtgüter. "Die Russen vernichten gezielt die wichtigste Eisenbahninfrastruktur und nehmen zivile Opfer in Kauf", so Natalia.

Für Oleksandra Gruschko, die 1923 geboren wurde, ist dies der zweite Krieg in ihrem Leben. Die Raketenangriffe, der ständige Luftschutzalarm, die Todesangst - das alles hat sie schon einmal als 17-Jährige erlebt. "Es ist kaum zu ertragen, dass Russland uns angreift. Ich habe doch damals in Auschwitz zusammen mit Russen und Weißrussen gelitten", sagt Oleksandra Gruschko.

"Wir mussten unser Hab und Gut zurücklassen"

Das Nachrichtenmagazin korrespondent.net berichtet über die russische Bombardierung von Slowjansk am 9. Mai 2022. Die Überschrift heißt aus dem Russischen übersetzt: "Die Armee der RF beschoss Slawjansk".

Auch Pavlo Scharun war im KZ Dachau mit Menschen aus verschiedenen Nationen interniert. "Die Deutschen machten damals doch keinen Unterschied, sie bezeichneten alle Bürger der Sowjetunion als Russen", sagt der 94-Jährige. Seine Heimatstadt Slowjansk in der Region Donezk war im 2. Weltkrieg fast zwei Jahre lang von der deutschen Wehrmacht besetzt. Pavlo wurde nach Deutschland verschleppt und kam 1943 im Alter von 16 Jahren ins Konzentrationslager Dachau.

"Heute ist Slowjansk wieder Kriegsschauplatz", sagt Pavlo Scharun. "Meine Tochter und ich mussten fliehen". Die beiden fanden Zuflucht in der Region Kyiv, wo sie vor kurzem eine Mietwohnung bezogen. "Uns fehlt es an allem, denn wir mussten unser Hab und Gut in Slowjansk zurücklassen."

Der Schmerz sitzt bei Vater und Tochter tief. Täglich verfolgen sie in den Nachrichten, was in ihrer Heimatstadt passiert. Sie lesen von Bombardierungen, die auch am 9. Mai, dem Tag des Sieges über Nazi-Deutschland, nicht ausbleiben.

Das Maximilian-Kolbe-Werk unterstützt Pavlo Scharun und seine 55-jährige Tochter mit einer finanziellen Soforthilfe. Auch Oleksndra Gruschko greifen wir finanziell unter die Arme.

Seit dem russischen Überfall haben wir den ukrainischen KZ- und Holocaust-Überlebenden rund 175.000 Euro als Soforthilfe zukommen lassen und werden sie weiterhin unterstützen.