Hintergrund
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Geschichte des Maximilian-Kolbe-Werks

Entstehung

Im Rahmen einer Sühnewallfahrt reisten Mitglieder der deutschen Sektion von 'Pax Christi' im Mai 1964 nach Polen. Die Gruppe besuchte das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz und suchte Kontakt zu polnischen Katholiken. In Bielsko-Biala wurde sie von dem damaligen Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla empfangen. Alfons Erb, seinerzeit Vizepräsident von 'Pax Christi', formulierte das Ziel der Reise: "Wir sind gekommen, um nicht politische oder völkerrechtliche Dilemmas zu lösen, sondern das neue Klima der Verständigung, der gegenseitigen Vergebung, einer neuen Achtung zu bereiten."

Die Gruppe begegnete auch einem polnischen, gesundheitlich sehr angeschlagenen Ehepaar. Beide waren KZ-Überlebende, die jedoch nie für ihre Haftzeit entschädigt worden waren. Die Deutschen erfuhren von ihrer schwierigen finanziellen Situation und beschlossen eine schnelle Unterstützungsaktion für sie. Noch im Bus sammelten sie Geld und ließen es dem Ehepaar zukommen.

Aus dieser spontanen Initiative entwickelte sich die Aktion "Solidaritätsspende" für die Opfer der Konzentrationslager, beschlossen von der Delegiertenversammlung von 'Pax Christi' im Mai 1965 in Münster. Dies war das erste Bestreben, den überlebenden NS-Opfern in Polen von deutscher Seite aus Sympathie und Solidarität zu bekunden und ihnen durch finanzielle Unterstützung ein wenig das Leben zu erleichtern.

Alfons Erb

Die politische Entspannung und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nach Abschluss des Warschauer Vertrags im Jahr 1970 ließen in Deutschland ein Klima entstehen, in dem die Gründung eines Hilfswerks mit dem Ziel der Verständigung und Versöhnung mit Polen denkbar wurde.

Am 19. Oktober 1973 wurde das Maximilian-Kolbe-Werk offiziell durch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und dreizehn katholische Verbände gegründet. Erster Geschäftsführer wurde Alfons Erb. Das Maximilian-Kolbe-Werk war im Hinblick auf die Versöhnung mit Polen ein Vorreiter sowohl im politischen als auch im kirchlichen Kontext. Es bekundete bedingungslos die Schuld auf deutscher Seite, ohne sie gegen anderes Unrecht, beispielsweise das Schicksal der Heimatvertriebenen, aufzurechnen. Mit der Wahl P. Maximilian Kolbes zum Namenspatron wurde ein klares Zeichen gegeben. Alfons Erb war davon beeindruckt, wie Kolbe den Hass gegen die Deutschen in sich überwunden und seine Mithäftlinge zu derselben Haltung aufgerufen hatte. In Polen war Maximilian Kolbe schon damals sehr bekannt und tief verehrt. Die KZ-Überlebenden verstanden die Botschaft, die mit der Wahl des polnischen KZ-Häftlings Maximilian Kolbe verbunden war. Wer sich auf ihn berief, musste mit lauteren Absichten kommen. 

Entfaltung der Arbeit

Unermüdlich erinnerte Alfons Erb in Deutschland an das Schicksal der KZ-Überlebenden und warb für die Aussöhnung mit Polen. 1982 übernahm Elisabeth Erb die Geschäftsführung von ihrem Vater. Ihr gelang es, die Aussöhnung mit den KZ-Überlebenden auf die Ebene der persönlichen Begegnung zu bringen. Ein Schlüsselerlebnis wurde zum Auslöser dieser Entwicklung: Als 1978 in Freiburg der Katholikentag stattfand, folgten sechs polnische Frauen, Überlebende des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, der Einladung, an diesem Katholikentag teilzunehmen. Die Zusage war einem Missverständnis zu verdanken: Die Polinnen glaubten, sie seien nach Freiburg in der Schweiz eingeladen. Das Erlebnis der Begegnung mit Deutschen in Freiburg bewegte die polnischen Frauen zutiefst. Eine von ihnen sagte im Anschluss an die Reise: "Ich bin zweimal aus dem KZ befreit worden. Einmal von den alliierten Truppen 1945, ein zweites Mal bei diesem Besuch in Deutschland."

Elisabeth Erb

Diese Erfahrung bestärkte Elisabeth Erb in ihrer Überzeugung, dass die Voraussetzung für die Versöhnung die Begegnung zwischen den Menschen sei. Unzählige Male fuhr sie nach Polen, um dort vom Maximilian-Kolbe-Werk zu berichten. Sie wurde in verschiedenen Regionen Polens zu Versammlungen von KZ-Überlebenden eingeladen. Bald gab es überall Ansprechpartner, die bereit waren, das Maximilian-Kolbe-Werk zu unterstützen. So entstand ein Netz von ehrenamtlichen Vertrauensleuten, selbst KZ-Überlebende, die die Hilfsmöglichkeiten des Maximilian-Kolbe-Werks vor Ort bekannt machten und organisierten. Sie wurden zu Ansprechpartnern und informierten die Geschäftsstelle in Freiburg, wo und für wen Hilfe dringend nötig war. Schritt für Schritt wuchs die gegenseitige Unterstützung und es entstanden Besuchsdienste für kranke Kameraden.

Eine weitere Hilfsaktion veränderte das Ansehen der Organisation in beiden Ländern. 1981 wurde in Polen das Kriegsrecht deklariert. Die wirtschaftlichen Folgen führten dazu, dass auch viele der KZ-Überlebenden an den Rand der Armut gedrängt wurden. In dieser Krisensituation gab das Maximilian-Kolbe-Werk Tausende von Adressen polnischer KZ-Überlebender an hilfsbereite Menschen in Deutschland weiter, die Pakete mit Nahrungsmitteln und Sachgütern nach Polen schickten. Die so entstandenen Kontakte zwischen Deutschen und Polen wurden oft jahrelang gepflegt.

Von Beginn an leistet das Maximilian-Kolbe-Werk personenbezogene finanzielle Hilfe in Notsituationen oder bei besonderer Bedürftigkeit. Jeder Antrag wird individuell geprüft. Bewilligt werden Hilfen zwischen 100 und 600 Euro. Zurzeit werden jährlich an etwa 700 Personen Beihilfen in einer Gesamthöhe von etwa 150.000 Euro ausbezahlt. Vielen vermittelt diese kontinuierliche Hilfsmöglichkeit ein Gefühl der Sicherheit.

Begegnung von Mensch zu Mensch

Seit 1978 lädt das Maximilian-Kolbe-Werk KZ-Überlebende zu Erholungs- und Begegnungsaufenthalten nach Deutschland ein. Über 14.000 ehemalige KZ-Häftlinge nahmen bis heute daran teil. Für viele von ihnen sind diese Aufenthalte der erste Kontakt mit dem "Land der Täter" seit Kriegsende. Betreut von deutschen ehrenamtlichen Mitarbeitern verbringen die Gruppen zwei Wochen in Deutschland. Die Begegnung mit der Vergangenheit, mit deutschen Menschen, der deutschen Sprache und den Stätten des Leidens führt oft zu einer seelischen Befreiung.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre erweiterte das Maximilian-Kolbe-Werk sein Engagement auf andere osteuropäische Länder. Seit 1992 wurden insbesondere in die Ukraine, nach Weißrussland und Russland Hilfsgütertransporte durchgeführt, mit denen jeweils 1200 bis 1500 Menschen erreicht werden konnten. Begleitet von ehrenamtlichen Mitarbeitern wurden im Rahmen dieser Transporte jeweils Geld- und Sachhilfen im Wert von 200 Euro pro Person an KZ-Überlebende überreicht. Die betroffenen Menschen erkennen die Geste an, dass sich Deutsche auf den Weg zu ihnen gemacht haben, um ihnen zu begegnen und ihnen zu helfen.

16 Jahre lang prägte Elisabeth Erb das Maximilian-Kolbe-Werk. Im Februar 2000 verstarb sie nach kurzer schwerer Krankheit. 

Von 1998 bis 2001 lag die Geschäftsführung in Händen von Antonia Wigbers. Von 2001 bis 2017 war Wolfgang Gerstner Geschäftsführer.

Seit 2018 ist Christoph Kulessa Geschäftsführer des Maximilian-Kolbe-Werks.

Anpassung der Projektformen

2002 sind an die Stelle der Hilfsgütertransporte die sog. Hilfs- und Begegnungsprojekte in den osteuropäischen Ländern getreten: Mitarbeiter des Maximilian-Kolbe-Werks begegneten KZ- und Ghettoüberlebenden auf zentralen Treffen und machten Hausbesuche bei Kranken. Alle Überlebenden erhielten eine finanzielle Unterstützung. Von 2002 bis 2016 wurden solche Projekte (regelmäßig) in Moldawien, Russland und der Region um Kaliningrad, Belarus/ Weißrussland, Litauen, Lettland, Estland, in der Ukraine und in Kasachstan durchgeführt.

Im Zuge der Anpassung der Projektformen und Hilfsangebote an die sich verändernde Gesundheits- und Lebenssituation der Überlebenden werden seit 2017 in Ländern der früheren Sowjetunion andere Hilfsformen umgesetzt, beispielsweise Haus- und Krankenbesuchsprojekte, bei denen Ehrenamtliche und/oder Hauptamtliche die Überlebenden zu Hause besuchen und ihnen persönlich die Beihilfen übergeben.

Erinnerungsarbeit

Die Erinnerungsarbeit des Maximilian-Kolbe-Werks begann mit einigen vermittelten Zeitzeugengesprächen in katholischen Gemeinden. Im Herbst 2001 fand das erste Zeitzeugenprojekt mit zwölf KZ- und Ghetto-Überlebenden im Bistum Mainz statt. Seitdem sind die Zeitzeugengespräche, ob in kleinen Gruppen oder mit einzelnen Überlebenden, ein wichtiger Bestandteil der Arbeit des Werkes. 2010 kamen Internationale Begegnungen für Nachwuchsjournalisten und 2013 das Fortbildungsseminar für Lehrer und Lehramtsanwärter in Auschwitz dazu.

Bleibende Herausforderung

Das Maximilian-Kolbe-Werk hat sich vor 48 Jahren in seiner Satzung die Aufgabe gestellt, "zur Verständigung und Versöhnung zwischen dem polnischen und deutschen Volk, aber auch mit anderen Ländern Mittel- und Osteuropas, beizutragen". Mit Hilfe vieler Spender und einer großen Zahl ungewöhnlich engagierter ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen wurde ein wichtiger Beitrag im Versöhnungsprozess geleistet. Diese Aufgabe ist nicht beendet.

Allein in Polen leben noch etwa 12.500 ehemalige KZ-Häftlinge und einige Tausend mehr in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Das Maximilian-Kolbe-Werk wird seine Bemühungen fortsetzen. Es wird weiterhin den KZ-Überlebenden vor Ort strukturelle und persönliche Hilfe leisten und gleichzeitig die Begegnung fördern, insbesondere zwischen den KZ-Überlebenden als Zeugen der Nazi-Verbrechen und der jungen Generation in Deutschland. Denn das wichtigste Anliegen der KZ-Überlebenden ist es, dazu beizutragen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.

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