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„Am meisten wünsche ich mir, dass der Krieg endet“ - Zu Besuch bei einer KZ-Überlebenden in der Ukraine

24.3.2019     Die Ukrainerin Anastasia Gulei (geb. 1925) hat im 2. Weltkrieg drei Konzentrationslager überlebt. Als 18-jähriges Mädchen wurde sie von den Deutschen zur Zwangsarbeit ins Dritte Reich verschleppt und kam nach einem misslungenen Fluchtversuch nach Auschwitz. Danach folgten die Konzentrationslager Buchenwald und Bergen-Belsen. Nach der Befreiung durch die britischen Truppen im April 1945 kehrte die junge Frau in die Ukraine zurück, um ihre "vom Krieg zerstörte Heimat wiederaufzubauen".

"Ich hätte nicht gedacht, dass ich 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs noch einmal einen Krieg miterleben muss", sagt Anastasia Gulei, als wir sie Mitte März in ihrer Wohnung in der Hauptstadt Kyiv besuchen.

Fünf Jahre dauert mittlerweile der Krieg im Osten der Ukraine. Zwar trennen die Hauptstadt mehr als 700 km von der Front, doch leidet die Bevölkerung im ganzen Land unter der schweren Wirtschaftskrise und der ständigen Angst um die Zukunft.

Wie geht es Menschen wie Anastasia Gulei? Was erhoffen sie sich von der Präsidentschaftswahl am 31. März? 

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Maximilian-Kolbe-Werk (MKW): Frau Gulei, Sie haben während des 2. Weltkriegs drei Konzentrationslager überlebt. Heute sind Sie immer wieder in Deutschland zu Zeitzeugengesprächen unterwegs. Im Juni kommen Sie auch auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werks nach Baden-Württemberg. Warum ist es Ihnen wichtig, mit Jugendlichen in Deutschland zu sprechen?

Anastasia Gulei: Ich will, ich muss nach Deutschland fahren, auch wenn ich gesundheitlich angeschlagen bin. Für KZ-Überlebende wie mich ist es eine Pflicht, Jugendliche über die NS-Verbrechen aufzuklären, damit sie Frieden und Freiheit schätzen und nicht als selbstverständlich empfinden. Noch vor 5-6 Jahren hielt es keiner in der Ukraine oder auch in Europa für möglich, dass es hier wieder Krieg geben kann.

MKW: Seit dem Ausbruch des militärischen Konflikts in der Ostukraine sind mittlerweile fünf Jahre vergangen. Wie geht es Ihnen als Überlebender des 2. Weltkriegs und des NS-Terrors dabei?

Anastasia Gulei: Ich hätte nicht gedacht, dass ich 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs noch einmal einen Krieg miterleben muss. Am Anfang, im Jahr 2014, hatten wir noch die Hoffnung, dass der Konflikt schnell gelöst wird. In den vergangenen fünf Jahren sind Tausende Menschen umgekommen. Mehr als eine Million mussten ihre Häuser verlassen und sind geflüchtet. Der Ausgang ist ungewiss. Und diese Ungewissheit und Sorge um die Zukunft macht uns psychisch sehr zu schaffen. Dazu kommen natürlich auch finanzielle Sorgen.

MKW: Wie ist die materielle Situation von alten Menschen in der Ukraine? Woran mangelt es am meisten, was fehlt?

Anastasia Gulei: Die schwere wirtschaftliche Krise trifft die Alten besonders hart. Die Preise für Lebensmittel, Gas, Strom, also für alles, steigen stetig an. Zwar werden auch immer wieder Gehälter und Renten minimal angehoben, doch können sie mit den hohen Preisen nicht mithalten. Von Lebensmitteln kaufen wir nur das Nötigste, denn in meinem Alter sind Medikamente fast wichtiger als die Nahrung. Und gute Medikamente sind sehr, sehr teuer.

MKW: Die Ukraine wählt am 31. März einen neuen Präsidenten. Was wünschen Sie sich, was erwarten Sie von dem neu gewählten Staatsoberhaupt?

Anastasia Gulei: In diesem Jahr treten so viele Kandidaten wie noch nie an. Rund 40 Personen wollen unser Land regieren. Die Wahlzettel sind 80 cm lang. Da verliert man schnell den Überblick, wer wofür in seinem Wahlprogramm wirbt. Mittlerweile schalte ich den Fernseher erst gar nicht mehr ein, weil wir mit Informationen regelrecht überflutet werden.

Was ich mir von dem neuen Präsidenten aber wünsche ist, dass der Krieg so schnell wie möglich zu Ende ist. Das zu erleben, wäre für mich das größte Glück.

Anastasia Gulei ist eine von 19 KZ-Überlebenden, die von ehrenamtlich Engagierten des Maximilian-Kolbe-Werks Ute Krieger (rechts im Bild) und Valentina Jakovlev in Kyiv und der Region Zaporizhya im Süden der Ukraine besucht wurden.

Alle erhielten eine finanzielle Beihilfe von 300 Euro, was im Fall von Frau Gulei drei zusätzliche Monatsrenten bedeutet.

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