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75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau

Begegnungsreise und Teilnahme an der offiziellen Gedenkveranstaltung für Überlebende aus Belarus, Russland und der Ukraine,

Oswiecim, 24. bis 28. Januar 2020 

Am 27. Januar 2020 jährte sich der Befreiungstag des größten nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zum 75. Mal. Zur Gedenkveranstaltung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau reisten 200 KZ-Überlebende aus der ganzen Welt an. Aufgrund des hohen Alters von Überlebenden war dieser Jahrestag wahrscheinlich das letzte halbrunde Jubiläum, an dem so eine große Gruppe von ehemaligen Auschwitz-Häftlingen teilnehmen konnte.

Viele Auschwitz-Überlebende aus Belarus, Russland und der Ukraine waren nicht in der Lage, ihre Reise nach Polen zur Teilnahme an der Gedenkveranstaltung im Museum Auschwitz-Birkenau selbst zu organisieren bzw. zu finanzieren.

Daher organisierte das Maximilian-Kolbe-Werk für 21 Überlebende vom 24. bis 28. Januar 2020 eine Begegnungsreise nach Oswiecim. In den Tagen vor der Gedenkveranstaltung konnten sie etwas zur Ruhe kommen und sich mit Menschen, die während des 2. Weltkriegs ein ähnliches Verfolgungsschicksal erfahren haben, austauschen.

Medienmitteilung

Begleitet wurden die 78- bis 95-Jährigen während der Tage in Oswiecim von ihren Angehörigen sowie Mitarbeitenden des Maximilian-Kolbe-Werks. Auf dem Programm standen u.a. die Besichtigung der Gedenkstätte Auschwitz I und Auschwitz II-Birkenau, Gesprächsrunden und Zeitzeugengespräche sowie ein Ausflug nach Krakau.

Höhepunkt des Aufenthalts war die Teilnahme an der offiziellen Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar.


Bildergalerie

21 Auschwitz-Überlebende aus Belarus, Russland und der Ukraine nahmen in Begleitung von Angehörigen an der Begegnungsreise teil
Anna Stryzhkova und Anastasia Gulei (von links) reisten aus Kyiv an. Anastasia (94) kam in Begleitung ihrer Tochter Valentina (rechts)
Igor Malitskiy (95) aus Charkiw freut sich über das Wiedersehen mit Danuta T. Konieczny aus der MKW-Geschäftsstelle
Anna Baranova, Evgenija Bekischeva und Maria Zvereva (von links) aus Belarus
Onufrij Dudok (93) aus Lviv/ Ukraine zeigt seine in Auschwitz eintätowierte Häftlingsnummer
Fiodor Tichonow (78) aus Vitebsk/ Belarus kam in Begleitung seines Sohnes Aleksandr nach Oswiecim

Liliya Gontscharowa (links), ihre Begleiterin Liudmila Kopyl (stehend) und Aleksandra Borisova aus Belarus
Geschäftsführer Christoph Kulessa begrüßt die Gäste und überreicht ihnen eine Beihilfe von 300 Euro. Andrea Steinhart aus der MKW-Geschäftsstelle fotografiert
Rundfahrt durch die Gedenkstätte Auschwitz mit Elektroautos
Führung durch Auschwitz I-Stammlager
Die Überlebenden betrachten die Landkarte der Transporte nach Auschwitz
Besichtigung des Stammlagers Auschwitz I
Besichtigung des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau
Besichtigung der Kinderbaracke in Birkenau
Über dem Todestor in Birkenau wurde für die Gedenkveranstaltung am 27. Januar ein Zelt errichtet
Ausflug nach Krakau: Ein Foto vor dem Wawel-Schloss durfte nicht fehlen
Evgenija Zhiglinskaja und Enkel Evgenij waren von der schönen Stadt beeindruckt
Gemeinsames Mittagessen im Restaurant "Pod Wawelem" nach der Führung durch die Krakauer Altstadt und das jüdische Viertel Kazimierz
Vizepräsident des Maximilian-Kolbe-Werks Johannes Schnettler (2ter von links) schloss sich der Gruppe in Krakau an und begrüßte die Gäste im Namen des Vorstands und des ganzen Kolbe-Werks
Der polnische Präsident Andrzej Duda überreichte am 26. Januar gemeinsam mit der First Lady Agata Kornhauser-Duda und dem Direktor der Gedenkstätte Auschwitz Dr. Piotr Cywinski die Gedenkmedaillen an die Auschwitz-Überlebenden
Evgenija Zhiglinskaja aus Belarus freut sich über die Gedenkmedaille
Gedenken und Kranzniederlegung an der Todesmauer in Auschwitz I - Stammlager
Valentina Volkova und Larisa Daniltschenko nach der Gedenkzeremonie an der Todesmauer
Bat-Sheva Dagan aus Israel: "Ich bin mir nicht sicher, ob das nun Wirklichkeit oder ein Traum ist, hier 75 Jahre danach zu stehen..."
Stanislaw Zalewski aus Warschau war einer von vier Auschwitz-Überlebenden, die eine Rede hielten.
Ca. 200 KZ- und Holocaust-Überlebende aus der ganzen Welt nahmen an der Gedenkveranstaltung teil
Marian Turski aus Warschau appellierte an die rund 2000 Zuhörer: "Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen... Seid niemals gleichgültig".
Die Sinteza Else Baker, die heute in England lebt, sagte: "In Zeiten wie diesen, in denen sich Minderheiten wieder verwundbar fühlen müssen, kann ich nur hoffen, dass jeder für Demokratie und Menschenrechte kämpfen würde."
Etwa 25 Staats- und Regierungschefs verfolgten die Schilderungen der Überlebenden, darunter auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin

Teilnehmende

Igor Malitskiy aus der Ukraine ist mit fast 95 Jahren der älteste Teilnehmer der Begegnungsreise.
Zum Video: "Survivors of Nazi persecution talk about Auschwitz" mit dem Bericht von Igor Malitskiy

An der Begegnungsreise teilgenommen haben 21 Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz aus Belarus, Russland und der Ukraine sowie ihre Angehörigen (insgesamt 38 Personen).

Der Senior der Gruppe war mit fast 95 Jahren Prof. Dr. Igor Malitskiy aus Charkiw in der Nordostukraine. Igor Malitskiy wurde am 12. Februar 1925 in Charkiw geboren. Als die deutschen Truppen im Oktober 1941 Charkiw besetzten, war er 16 Jahre alt. Anfang 1942 wurde Igor Malitskiy von der Polizei verhaftet, konnte jedoch fliehen.

Nach der zweiten Verhaftung wurde er in ein Kriegsgefangenenlager gebracht. Während des Transports nach Deutschland gelang ihm die Flucht nach Österreich. Er wurde jedoch auf tschechischem Gebiet von der Feldgendarmerie festgenommen und in ein Gestapogefängnis nach Kladno geschickt. Später kam Igor Malitskiy nach Teresin, danach ins Konzentrationslager Auschwitz und schließlich 1944 ins KZ Mauthausen.

Nach der Befreiung aus dem KZ wurde er in die Rote Armee eingezogen und leistete bis 1951 seinen Militärdienst in der DDR ab. Danach kehrte Igor Malitskiy in seine Heimatstadt zurück, studierte am Institut für Bergbau in Charkiw und arbeitete in der Bergbauindustrie.

Anschließend promovierte er und unterrichtete am Institut für Bergbau, war auch Dozent am Ukrainischen Institut für Fernstudium sowie Lehrstuhlinhaber an der ukrainischen Akademie für Ingenieur-Pädagogik, an der er bis heute lehrt.

Professor Malitskiy nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Er ist Vorsitzender der Charkiwer regionalen Organisation antifaschistischer Widerstandskämpfer, ehemaliger politischer Häftlinge der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Seine Botschaft an junge Menschen lautet: "Ihr müsst Euch gegen Rassismus und Antisemitismus mit aller Kraft wehren."

 


Stimmen

Raisa Sobolewa (*1934) aus dem Gebiet Vitebsk/ Belarus wird zum ersten Mal seit der Befreiung an den Ort ihres Leidens zurückkehren.

Raisa wurde 1943 als Neunjährige mit ihren beiden Schwestern Galina und Anna (damals 13 und 5 Jahre alt) sowie ihrer Mutter ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. "Wir Kinder mussten aufeinander aufpassen, da wir von unserer Mutter im Lager getrennt wurden," erinnert sich die 85-Jährige.

Dann wurde auch Galina, die älteste Schwester, zur Zwangsarbeit nach Dessau deportiert. Die jüngeren Raisa und Anna wurden nach der Befreiung zunächst in ein Kinderheim gebracht, wo sie später von ihrem Vater angeholt wurden. Die Mutter hat ebenfalls überlebt. Galina kehrte als Letzte zu ihrer Familie zurück. "Die Zeit nach dem Krieg war sehr schwer. Alles war zerstört, wir litten Hunger", erzählt Raisa Sobolewa.

Heute wohnen Raisa  und Galina (88) im gleichen Ort. "Galina kann nicht mehr gut gehen, deswegen besuche ich sie immer", sagt Raisa. "Sie bedauert es sehr, zur Gedenkveranstaltung am 27. Januar in Oswiecim nicht kommen zu können." 

Die dritte Schwester Anna (80) wohnt in einem Nachbarort. "Anna ist vor wenigen Monaten Witwe geworden. Der plötzliche Tod ihres Mannes macht ihr sehr zu schaffen, daher ist sie momentan nicht reisefähig".  


Ksenia Olchova (*1930), Moskau/ Russland

Ksenia Olchova wurde 1930 als Krystyna Zienkiewicz in Warschau geboren. Bis Oktober 1944 lebte sie mit der Mutter und der Schwester Ludowika in Warschau. Ihr Vater starb 1934.

Im Oktober 1944 wurde die Familie nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands inhaftiert und ins Durchgangslager Pruszkow gebracht. Dort wurden die Mädchen von der Mutter getrennt und nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Im Dezember 1944 kamen sie ins Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg.

Nach der Befreiung im Mai 1945 kehrten Krystyna und Ludowika nach Warschau zurück. Als Vollwaisen wurden die Schwestern in die Sowjetunion gebracht und bekamen russische Vornamen Ksenia (Krystyna) und Lidiya (Ludowika). Nach der Schule studierte Ksenia Musik in Moskau. Sie war 26 Jahre lang Leiterin einer Musikschule in Moskau, wo sie auch heute lebt.

Ksenia Olchova (89) und ihre Schwester Lidiya (91) werden gemeinsam zur Gedenkveranstaltung nach Oswiecim reisen. "Wir haben den schrecklichen Krieg und das Todeslager überlebt. An diesen Ort zurückzukehren, kostet uns viel Überwindung. Dennoch machen wir es, um die Getöteten zu ehren".


Anastasia Gulei (*1925), Kyiv/ Ukraine

„Als ich nach Auschwitz kam, war ich noch ein Mensch. Ich hatte ein menschliches Gesicht – doch ich wurde bald zu einer Vogelscheuche", sagt die 94-jährige Anastasia Gulei. "Mir wurde alles genommen: mein Aussehen, meine Kleidung, meine Haare. Ich hatte keinen Namen mehr, nur noch die Nummer 61369, und wenn sie aufgerufen wurde, musste ich mich melden.“

Nach der Inhaftierung in Auschwitz folgen ab Januar 1945 die Konzentrationslager Buchenwald und Bergen-Belsen. Am 15. April 1945 wird sie befreit. „Ich empfand bei der Befreiung keine Freude, keine Trauer und auch keinen Schmerz – ich fühlte mich tot“.

Zurück in der Heimat schließt Anastasia die Schule ab und studiert Forstwissenschaften in Kiew. Ihre Gefangenschaft bei den Deutschen verheimlicht sie. KZ-Überlebende und Zwangsarbeiter, die den Deutschen unfreiwillig dienen mussten, galten in der Sowjetunion Stalins als Vaterlandsverräter.

Mit ihren 94 Jahren spricht Anastasia heute immer noch als Zeitzeugin vor Schülern in Deutschland und in der Ukraine. Ihre Botschaft an die Jugendlichen lautet: „Am meisten wünsche ich uns allen den Frieden. Krieg und Gewalt hatte ich mehr als genug“.


Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz-Birkenau

Live übertragen am 27.01.2020, Quelle: Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau

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