Hintergrund
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Anastasia Gulei (geb. 1925), Kyiv/ Ukraine

Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen 

 „Am meisten wünsche ich uns allen den Frieden. Krieg und Gewalt hatte ich mehr als genug“.

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Anastasia Gulei lebt in der ukrainischen Hauptstadt Kyiv. Sie hat drei Konzentrationslager überlebt und erzählt dem Maximilian-Kolbe-Werk ihre Geschichte:

"Wir waren voller Romantik"

"Bevor der Krieg begann, war ich zuhause das Nesthäkchen. Meine drei älteren Brüder hatten stets ein wachsames Auge auf mich gerichtet." Anastasia ist jung und hübsch, gerade 15 Jahre alt. "Ich war voller Romantik, habe viel gelesen - die Literatur hat uns gedeihen lassen, wir schmiedeten Zukunftspläne."

Dann kommen deutsche Soldaten in ihr Dorf Grabarowka in der Zentralukraine. Im Frühjahr 1943 wird sie zur Zwangsarbeit nach Königshütte in Oberschlesien verschleppt. "Meine Brüder waren als Soldaten im Krieg. Niemand konnte mich beschützen." Anastasia muss in einer Rüstungsfirma arbeiten. "Doch ich wollte nicht für Hitler Granaten und Munition zusammenbauen, die den Tod für meine Brüder bedeuten konnten." Sie flieht, wird aber an der polnisch-ukrainischen Grenze gefasst.

Im August 1943 wird sie in einem Viehwaggon nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Die Nummer 61369 wird ihr auf den linken Unterarm tätowiert. Sie ist bis heute sichtbar.

Nur noch die Nummer 61369

"Als ich nach Auschwitz kam, war ich noch ein Mensch. Ich hatte ein menschliches Gesicht - doch ich wurde bald zu einer Vogelscheuche. Es wurde mir alles genommen, mein Aussehen, meine Kleidung, meine Haare. Ich hatte keinen Namen mehr, nur noch diese Nummer, und wenn sie aufgerufen wurde, musste ich mich melden."

Rund um das Lager hebt die junge Anastasia tiefe Gräben aus. Später kommt sie in ein Außenlager. Dort muss sie Steine schleppen - den ganzen Tag.

Als sowjetische Truppen vorrücken, werden die noch lebenden Gefangenen in andere Lager deportiert: Anastasia kommt im Januar 1945 nach Buchenwald und wird von dort weitergeschickt nach Bergen-Belsen. Am 15. April 1945 befreien britische Soldaten die Lagerhäftlinge.

"Ich fühlte mich wie tot"

"Ich empfand bei der Befreiung keine Freude, keine Trauer und auch keinen Schmerz - ich fühlte mich tot", erinnert sich Frau Gulei. Für Tausende in Bergen-Belsen kam die Rettung zu spät. Anastasia aber überlebte.

Zurück in der Heimat schließt sie die Schule ab und studiert Forstwissenschaften in Kyiv. Ihre Gefangenschaft bei den Deutschen verheimlicht sie. KZ-Überlebende und Zwangsarbeiter, die den Deutschen unfreiwillig dienen mussten, galten in der Sowjetunion Stalins als Vaterlandsverräter.

1950 heiratet Anastasia und zieht noch im selben Jahr mit ihrem Mann in die damalige Sowjetrepublik Moldawien. "Dort stellte mir niemand mehr Fragen zum Krieg." 20 Jahre lang arbeitet sie dort in der Forstwirtschaft und wird Mutter von drei Kindern. Schließlich siegt das Heimweh nach der Ukraine. Die Familie kehrt nach Kyiv zurück, wo Anastasia Gulei bis heute lebt.


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"snowing memories"

Der Kurzfilm "snowing memories" enthält Aufnahmen des Zeitzeugengesprächs mit der Auschwitz-Überlebenden Anastasia Gulei (*1925) aus der Ukraine, die an den Ort ihres Leidens zurückkehrt, um ihre Erinnerungen an junge Menschen weiterzugeben.

Der Film wurde von Isaija Jurkenaite aus Litauen während der Internationalen Begegnung 2013 produziert.


Zu Besuch bei Anastasia Gulei im März 2019

"Ich hätte nicht gedacht, dass ich 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs noch einmal einen Krieg miterleben muss", sagt Anastasia Gulei, als wir sie in ihrer Wohnung in der ukrainischen Hauptstadt Kyiv besuchen.

Fünf Jahre dauert mittlerweile der Krieg im Osten der Ukraine. Zwar trennen die Hauptstadt mehr als 700 km von der Front, doch leidet die Bevölkerung im ganzen Land unter der schweren Wirtschaftskrise und der ständigen Angst um die Zukunft.

Wie geht es Menschen wie Anastasia Gulei? Was erhoffen sie sich von der Präsidentschaftswahl am 31. März 2019? 

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