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Zeitzeugenbesuch in Freiburg

16.11.2018     "Ich wünsche Euch, dass Ihr Euch in Zukunft nicht mehr Geschichten wie meine anhören müsst: Die Geschichte eines kleinen Mädchens, das in der Kanalisation des Warschauer Ghettos ums Überleben kämpfen musste. Jedes Kind hat das Recht auf Glück und Frieden."

Mit diesen Worten beendet die 86-jährige Krystyna Budnicka aus Warschau ihren Zeitzeugenbericht an der Universität Freiburg. Der Hörsaal bebt vor Applaus. Rund 500 Studierende und andere Interessierte sind zur Abendveranstaltung aus der Reihe "Zeitzeugen der NS-Zeit im Gespräch" gekommen, die wir in Zusammenarbeit mit dem Colloquium politicum und der Landeszentrale für politische Bildung Freiburg durchgeführt haben.

Die Veranstaltung musste aufgrund des großen Interesses kurzfristig in einen größeren Hörsaal verlegt werden. Alle 330 Sitzplätze waren innerhalb weniger Minuten belegt. Viele Zuhörer saßen auf dem Boden in den Gängen oder standen. Zwei Stunden lang. "So ein großes Publikum hatte ich noch nie", gesteht Krystyna Budnicka. "Ich bin überwältigt".

Krystyna Budnicka wurde am 8. Mai 1932 in Warschau als achtes Kind einer strenggläubigen jüdischen Familie geboren. Als der Krieg ausbrach, begann für die Familie ein Leben voller Angst, Entbehrungen und Hunger.

Krystyna war sieben Jahre alt, als sie mit ihrer Familie ins Ghetto Warschau umsiedeln musste. "Meine zwei älteren Brüder wurden auf der Straße erschossen, andere schlossen sich dem Widerstand an", erzählt sie. Die Familie entging der Deportation, weil der Vater einen Fluchttunnel baute, der in die verzweigte Abwasserkanalisation führte.

Monatelang lebte die Familie in den Kanalisationsschächten, floh vor den Gasbomben und vor der Hitze. Nur Krystyna und zwei Brüder wurden gerettet, die Eltern und ihre anderen Geschwister überlebten es nicht. Kurz darauf starb dann einer der Brüder an einer Blutvergiftung, der andere wurde an die Deutschen verraten und erschossen. "Ich war 12 Jahre alt und alleine auf dieser Welt." Sie versteckte sich in einem Waisenhaus bei Nonnen. Krystyna Budnicka studierte nach dem Krieg Pädagogik und arbeitete als Sonderschullehrerin.

"Ich frage mich oft, warum gerade ich überlebt habe, denn ich war klein und nicht besonders stark", sagt Krystyna Budnicka. "Aber ich denke, dass ich überlebt habe, um heute davon zu erzählen. So kann ich meine Eltern und Geschwister lebendig halten, denn ich habe kein Grab und keine Fotos, nur meine Erinnerungen".

Der Abend ist Teil des Zeitzeugenprojekts mit vier Überlebenden des NS-Regimes an Freiburger Schulen. Die Überlebenden Dr. Leon Weintraub aus Schweden, Krystyna Budnicka und Alodia Witaszek-Napierała aus Polen sowie Dr. Michaela Vidláková aus der Tschechischen Republik besuchten vom 12. bis 16. November 2018 insgesamt 13 Schulen in Freiburg und der Umgebung. Sie erzählten über ihre Erlebnisse in den Ghettos von Warschau und Litzmannstadt, vom Überleben in den Konzentrationslagern Theresienstadt, Auschwitz und Flössenbürg sowie von der Zwangsgermanisierung.

Neben den Schülerbegegnungen standen Gespräche mit Studierenden der Katholischen Hochschule und der Albert-Ludwigs-Universität, mit einem Freiburger Seniorenkreis sowie mit Jugendlichen der Jugendhilfe "Timeout" in Breitnau auf dem Programm.

Das Projekt wurde von Freiburger Ehrenamtlichen des Maximilian-Kolbe-Werks begleitet und von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg gefördert.

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