"Fragt uns, wir sind die letzten!"
Zeitzeugenbesuch im Bistum Mainz, 19. - 25. Mai 2019
(Fotos: Stephan Dinges)
Sechs Schulen, zwei Abendveranstaltungen, 800 Jugendliche, 150 Studierende und andere Zuhörer... Es war ein strammes Programm, das sechs KZ- und Holocaust-Überlebende aus Polen und Belgien vom 19. bis 25. Mai 2019 im Rahmen unseres Kooperations-Zeitzeugenprojekts mit dem Bistum Mainz in Ockenheim absolviert haben.
"Wichtig war den Zeitzeugen in allen Gesprächen, gerade mit Blick auf die Europawahl, der eindringliche Appell, heute sehr genau hinzuschauen und nicht jenen hinterher zu laufen, die am lautesten schreien und einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten", sagt Alois Bauer vom Referat Weltmission/Gerechtigkeit und Frieden im Bistum Mainz.
Gemeinsam mit anderen Mitarbeitenden des Bistums und ehrenamtlich Engagierten organisierte er den mittlerweile 35. Zeitzeugenbesuch.
Die Zeitzeugen
Zu Gesprächen mit Jugendlichen reisten vier Frauen und zwei Männer im Alter zwischen 80 und 97 Jahren nach Rheinhessen. Während des 2. Weltkriegs wurden sie u. a. in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau, Sachsenhausen, Ravensbrück, dem Internierungs- und Arbeitslager Potulice, dem Ghetto Sambor und der Jugendverwahranstalt Litzmannstadt inhaftiert.
Aufklären durch Erzählen
Die Zeitzeugen empfingen jeden Vormittag Schulklassen zu Gesprächen im Kloster Jakobsberg in Ockenheim und erzählten von ihren Erlebnissen während der NS-Diktatur. Insgesamt konnten im Laufe der Projektwoche etwa 800 Schüler und etwa 150 Erwachsene die Berichte der Überlebenden hören.
"Ich habe gar nicht gewusst, dass es Konzentrationslager für Kinder gab. Ich bin tief erschüttert", sagte eine Schülerin der Hildegardis-Schule Bingen nach der Begegnung mit Alodia Witaszek-Napierala.
Neben Schülern konnten auch andere Interessierten im Rahmen von Abendveranstaltungen mit Zeitzeugeen ins Gespräch kommen. So sprach am 21. Mai Henriette Kretz an der Universität Mainz. Am 22. Mai erzählte Jozefa Posch-Kotyrba in Bingen-Büdesheim vom Überleben in den s.g. "Polenlagern".
"Die gut 70 Zuhörenden im Saal der Ev. Christuskirchen-Gemeinde Bingen-Büdesheim waren spürbar betroffen vom Schicksal von Jozefa Posch-Kotyrba", erfahren wir von Alois Bauer.
Auch Weihbischof Dr. Udo M. Bentz war eigens aus Mainz angereist, um den Zeitzeugenvortrag zu hören. "In einem sehr persönlichen Schlusswort ging er der Frage nach, ob es einen Zusammenhang zwischen dem allmählichen Wegsterben der letzten Zeitzeugen gebe, die noch über die NS-Zeit berichten können, und dem Aufkommen populistischer, rassistischer Strömungen", erzählt Alois Bauer.
"Das Fazit des Weihbischofs lautete, dass eine Gesellschaft offenbar die lebendige Brücke der Erinnerung über Generationen hinweg benötige. So appellierte er an alle im Saal, als "Zeugen der Zeitzeugen" diese Erinnerung wachzuhalten und weiterzutragen."
Erholen und Kraft tanken
Damit die 80- bis 97-jährigen Zeitzeugen nach den emotional anspruchsvollen Gesprächen abschalten und Kraft tanken konnten, sorgte das Begleiter-Team für ein kleines Rahmenprogramm mit Sport, Spaziergängen, Musik und gemütlichen Gesprächsrunden.