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ERINNERUNG ALS MAHNUNG WEITERGEBEN

"Fragt uns! Wir sind die Letzten"

Holocaust-Überlebende sprechen vor Schülern im Saarland, 7.-15. September 2019

Die Zeitzeuginnen und ihre Begleiter (von rechts): Liudmyla Kleiner, Malvina Nyzhnykova, Ludmilla Haus, Gerhard Alt, Günther Weiß.

"Fragt uns! Wir sind die Letzten" ist das Motto der Zeitzeugenbesuche, die seit über 30 Jahren von der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) im Kreis Saarlouis e. V. und dem Maximilian-Kolbe-Werk im Saarland organisiert werden.

In diesem Jahr waren zwei Überlebende des Holocaust aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa vom 7. bis 15. September in Saarlouis zu Gast. Liudmyla Kleiner (81) und Malvina Nyzhnykova (79) berichtete Schülern in Saarwellingen, Merzig und Rehlingen von ihren Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Odessa. 

Besuch an der Lothar-Kahn-Schule in Rehlingen. Foto: Gerhard Alt/KEB

"Am 9. September war erster "Schultag". Station war die Lothar-Kahn-Schule in Rehlingen, eine Gemeinschaftsschule", erzählt Gerhard Alt, KEB-Geschäftsführer, der den Zeitzeugenaufenthalt geplant und die Gäste während des gesamten Aufenthalts betreute. "In der 3. und 4. Stunde trafen Malvina Nyzhnykova und Liudmyla Kleiner auf etwa 40 Schüler im Alter von 13 bis 15 Jahren, die gut vorbereitet waren und aufmerksam zuhörten". Für die Sprachvermittlung aus dem Russischen sorgten Günther Weiß, Ehrenamtlicher des Maximilian-Kolbe-Werks aus Koblenz, und Ludmilla Haus aus Dillingen.

Die 81-jährige Liudmyla Kleiner schilderte den Jugendlichen ihre Erinnerungen an die ersten Tage der Besetzung ihrer Heimatstadt Odessa im Jahr 1941: "Wir dachten nicht, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun können". Die Verfolgung der Juden konnte sich nur überleben, weil sie von bekannten versteckt wurde.

In der Aula des Gymnasiums am Stefansberg in Merzig. Foto: Gerhard Alt/KEB

Weitere Zeitzeugengespräche fanden am Gymnasium am Stefansberg in Merzig, wo die beiden Frauen in der Aula vor insgesamt vier Klassen (knapp 100 Personen) sprachen. "Während der beiden Unterrichtsstunden war es im großen Saal sehr still", sagt Gerhard Alt. "Die Schüler und auch ihre Lehrer stellten Fragen, die nicht nur gute Kenntnisse über die Kriegszeit und den Holocaust belegten, sondern auch von Empathie geprägt waren".

Herzliche Atmosphäre in der Schule in Saarwellingen. Foto: Gerhard Alt/KEB

Die Schüler wollten beispielsweise wissen, wie sich das Leben der Holocaust-Überlebenden nach dem Krieg verändert hat und ob sie glücklich werden konnten. "Die ersten Jahre nach dem Krieg waren sehr schwer. Doch alles in allem haben wir ein schönes Leben gelebt, wir sind den Deutschen nicht böse", antwortete Malvina Nyzhnykova. Sie selbst war bei Kriegsausbruch ein Jahr alt. Von ihrer Mutter hat sie erst als Teenager erfahren, dass ihr Vater vor ihrem Haus erschossen und in einem Massengrab verscharrt wurde.

Diese Erzählungen ließen auch Jugendliche der Schule an der Waldwiese in Saarwellingen nicht kalt. Eine Zehntklässlerin sagte nach der Begegnung: "Man sollte genau zuhören und das gehörte später seinen Kindern weitergeben". "Das waren beeindruckende Schulstunden", erzählt Gerhard Alt. "Hier herrschte eine besonders intensive Atmosphäre. Zwei Schülerinnen konnten sich mit den Gästen auch auf Russisch unterhalten".

Der Stadtführer Hans Jörg Schu erläuterte in der Saarlouiser Pfarrkirche die Fensterbilder von Ernst Alt. Foto: Gerhard Alt/KEB

Das von Gerhard Alt vorbereitet Rahmenprogramm bestand aus landeskundlichen und kulturellen Elementen. Zunächst stand die Besichtigung der Stadt Saarloius, wo die Unterkunft der Zeitzeuginnen war, auf dem Programm. "Dazu kam Hans Jörg Schu, ein kenntnisreicher Saarlouiser und erfahrener Stadtführer", erfahren wir von Gerhart Alt. "Er führte unter anderem durch die restaurierte Festungsanlage, in den Gobelinsaal im Rathaus, in die Kirche St. Ludwig mit den Fenstern des Künstlers Ernst Alt, die alttestamentliche Motive zeigen und den Holocaust thematisieren. Schu machte bei der Führung deutlich, dass vor dem Holocaust die jüdischen Bürger ganz selbstverständlicher Teil der Bevölkerung waren, und zeigte einige der "Stolpersteine", die der Künstler Gunter Demnig wie in vielen anderen Städten vor Häusern, wo Menschen jüdischen Glauben lebten, verlegte."

Bei einem Tagesauflug nach Trier zeigten Günther Weiß und Gerhard Alt den Zeitzeuginnen herausragende Stationen der Römerstadt, von der die Gäste sehr beeindruckt waren. Weitere Höhepunkte des Besichtigungsprogramms waren der Besuch der Ausstellung des Weltunternehmens Villeroy & Boch, die Fahrt zum Denkmal großer Europäer in Berus sowie die Ausflüge nach Schengen und an die Mosel.

An der Saarschleife (v.r.n.l.): Malvina Nyzhnykova, Günther Weiß, Liudmyla Kleiner, Gerhard Alt.
An der Mosel bei Bernkastel mit Pastor i. R. Franz-Rudolf Müller (rechts). Foto: Gerhard Alt/KEB

Besichtigt wurde außerdem die Gedenkstätte Neue Bremm. "Die beiden Damen aus der Ukraine lobten, wie gut in Deutschland mit solchen Stätten heute umgegangen werde", berichtet Gerhard Alt.

Als Zeichen der großen Wertschätzung empfanden die Zeitzeuginnen die Einladung in den Landtag des Saarlandes durch Landtagspräsidenten Stephan Toscani. "Herr Toscani nahm sich Zeit, mit den Gästen zu reden, bevor ihnen der Plenarsaal und die Arbeit der Abgeordneten vorgestellt wurden," sagt Gerhard Alt. Beim anschließenden Essen in der Landtagskantine wurde unter anderem unter die aktuelle Situation in der Ukraine ausgetauscht.  

Besuch der Gedenkstätte Gestapo-Lager Neue Bremm mit Horst Bernhard (Mitte). Foto: Gerhard Alt/KEB
Besuch im Landtag des Saarlandes mit (von links) Landtagspräsident Stephan Toscani, Liudmyla Kleiner, Malvina Nyzhnykova, Günther Weiß und der stellvertretenden Direktorin Andrea Becker. Foto: Gerhard Alt/KEB

Vor der Abreise gab es die Abschlussfeier mit einem Abendessen in Saarwellingen. "Liudmyla Kleiner und Malvina Nyzhnykova bedankten sich mehrfach für die Gastfreundschaft und die vielen guten und schönen Eindrücke, die sie in Deutschland gewonnen hätten. Deutschland gehe sehr sorgsam mit der Vergangenheit um, sagten sie", erzählt Gerhard Alt. "Und sie äußerten auch, wie gut es ihnen getan habe, dass die jungen Leute in den Schulen, aber auch die anderen Menschen, denen sie begegnet waren, ihnen so viel Respekt und Interesse entgegengebracht hätten".


Das Projekt wurde durch die Mittel der Lotterie "GlücksSpirale" gefördert.

 

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