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"Die Geschichte wiederholt sich"

Nadija Mudrenok (83) verlor, wie damals im 2. Weltkrieg, wieder ihr Elternhaus

01.07.2022     Nadija Mudrenok war fünf Jahre alt, als die Deutschen 1943 ihr Dorf niederbrannten und sie mit ihrer Mutter und drei Geschwistern nach Deutschland verschleppten. "79 Jahre später, im März 2022, machten die Russen mein Elternhaus dem Boden gleich und überrollten das ganze Grundstück mit Panzern".

Die KZ-Überlebende Nadija Mudrenok erlebt zum zweiten Mal einen Krieg.

Nadija Mudrenok lebt in Kyiv. In ihrem Elternhaus im Dorf Peremoha, 30 Kilometer östlich der Hauptstadt, hat sie vor allem von Frühling bis Herbst viel Zeit verbracht. "Hier im Grünen fanden wir Ruhe vom Trubel der Großstadt. Meine Kinder, Enkel und jetzt Urenkel konnten sich im großen Garten austoben", erzählt die 83-Jährige. Das Haus hat Nadija Mudrenok von ihrer Mutter geerbt. "Nach zwei Jahren Zwangsarbeit und Konzentrationslager in Deutschland musste meine Mutter uns Kinder allein auf die Beine stellen. Unser Vater kam in einem Kriegsgefangenenlager zu Tode". 1947 hatte Nadijas Mutter dieses Haus mit Mühe und Not und mit viel Unterstützung aus der Dorfgemeinde gebaut.

"Und nun gibt es das Haus nicht mehr. Die Geschichte wiederholt sich. Es ist wieder Krieg. Wie damals, wurde mein Elternhaus wieder niedergebrannt. Den Garten haben die Russen vernichtet und auf dem Grundstück fünf riesige Gruben ausgehoben." Das Dorf Peremoha, zu Deutsch 'Sieg', wurde den ganzen Monat März von russischen Truppen besetzt. Es wurde zum Kommandoposten der Russen, von dem aus sie die Offensive auf die Hauptstadt aus östlicher Richtung koordinierten. "Fast alle Häuser in Peremoha wurden geplündert oder zerstört", erzählt Nadija Mudrenok. "Gott sei Dank waren wir zu dieser Zeit in Kyiv".

Zerstörte Häuser im Dorf Peremoha. (Screenshot aus einer Nachrichtensendung auf tsn.ua vom 4.4.2022)

Doch auch in Kyiv waren sie vor russischem Raketenbeschuss nicht sicher und mussten sich ständig im Keller verstecken. Ihre Enkelin hat die ersten zwei Kriegswochen mit ihren drei Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren im Schutzkeller ihres Hochhauses ausgeharrt. Der Mann der Enkelin, ein Marineinfanterist, musste an die Front. "Meine Tochter und ich haben die Enkelin überredet, nach Deutschland zu flüchten. Um der Kinder willen", sagt Frau Mudrenok. "Doch nach zwei Monaten kehrte sie zurück, weil sie es ohne uns nicht länger ausgehalten hatte".

In wenigen Tagen wird Nadija Mudrenok 84 Jahre alt. Trotz ihres Alters engagiert sie sich ehrenamtlich. "Gestern habe ich zehn Säcke Kartoffeln organisiert", erzählt die KZ-Überlebende am Telefon. Sie ist Teil einer lokalen Initiative, die in Zusammenarbeit mit einem Restaurant Senioren und andere Kriegsgeschädigte in ihrem Stadtbezirk mit warmen Mahlzeiten versorgt. "65 Mittagessen konnten wir gestern ausgeben", sagt Frau Mudrenok. "Was mich in dieser schrecklichen Situation nicht verzweifeln lässt, sind der große Zusammenhalt und der Glaube an unseren Sieg".

Nadija Mudrenok engagiert sich für Kriegsgeschädigte und Bedürftige.
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