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"Die Menschen öffnen wieder ihre Türen"

Hausbesuche in Polen

Christoph Kulessa (rechts) besuchte Ignacy Golik und seine Frau Zbigniewa in Warschau.

23.08.2021     Viele Jahre kamen sie als Zeitzeugen nach Deutschland, um Jugendlichen von ihren Erlebnissen während der NS-Zeit zu berichten. Wegen Corona oder aus Altersgründen können sie dies nicht mehr tun. Vor kurzem besuchten wir Ignacy Golik (99), Alicja Kubecka (98), Zofia Posmysz (97) und andere Überlebende in Polen.

"Es ist uns ein großes Anliegen, den Überlebenden unsere Wertschätzung auszudrücken und ihnen zu zeigen, dass sie in Deutschland nicht vergessen sind", sagt Christoph Kulessa, Geschäftsführer des Maximilian-Kolbe-Werks. Die Reise führte Christoph Kulessa von Warschau über Lodz nach Krakau. "Nach dem Abflauen des Pandemie-Geschehens öffnen die Menschen wieder ihre Türen", sagt er.

Mit seinen 99 Jahren war Ignacy Golik (Bild) einer der ältesten unter den Besuchten. Der Überlebende von Auschwitz, Sachsenhausen und Ravensbrück-Barth kam während seiner mehreren Zeitzeugenbesuche im Bistum Mainz mit tausenden Schülern ins Gespräch. Heute kann er nicht mehr reisen und verlässt kaum die Wohnung. "Herr Golik hat nach wie vor ein großes Interesse an Deutschland", erzählt Christoph Kulessa. "Bis vor kurzem las er noch regelmäßig eine deutsche Wochenzeitschrift".

Auch Alicja Kubecka (98) kann nicht mehr zu Zeitzeugengesprächen nach Deutschland reisen.
Zofia Posmysz (rechts) erzählt der Krankenschwester Zuzanna Zawada, wie es ihr in der Pandemie ergangen ist.
Zu Gast bei Bogdan Debowski (93)
und seiner Frau.
Große Wiedersehensfreude: Apolonia Dolinska (102) war bei der letzten Begegnung 2019 im Krankenhaus.

Irena Szczurek aus Lodz vermisst die Zeit, als die persönlichen Begegnungen mit Schülern in Deutschland noch möglich waren. "2019, als ich zuletzt in Köln und Lingen war, traf ich insgesamt vier Wochen lang mit jungen Menschen zusammen!", sagt die Holocaust-Überlebende. "Ich hoffe, dass die Pandemie bald vorbei ist und ich nächstes Jahr nach Deutschland fahren kann".

Irena Szczurek (82) aus Lodz hofft, bald wieder mit Jugendlichen in Deutschland zusammenzutreffen.

Die Corona-Pandemie war und ist für die 82-Jährige eine enorme Belastung. "Angst und Einsamkeit machten mir schwer zu schaffen", gesteht Irena Szczurek. Wegen hoher Ausgaben für Medikamente und fremde Hilfe kam sie in der Pandemie an ihre finanziellen Grenzen. So wie Irena Szczurek geht es vielen Überlebenden in Polen. Daher unterstützten wir insgesamt 180 Holocaust-Überlebende in den vergangenen Monaten mit einer Corona-Soforthilfe.

Auch in Warschau konnten wir vielen Holocaust-Überlebenden mit finanziellen Beihilfen zur Seite stehen. Zusammen gearbeitet haben wir dabei mit dem Verband der jüdischen Kombattanten und Geschädigten des Zweiten Weltkriegs und dessen Vorsitzenden Marian Kalwary. Der 91-Jährige ist Überlebender des Warschauer Ghettos und setzt sich für seine Schicksalsgefährten ein. Unter anderem engagiert er sich für die Anerkennung von Rentenansprüchen überlebender Juden und Roma.

In Krakau stand der Besuch in der Ambulanz für KZ- und Ghettoüberlebende "Pro Vita et Spe" im Vordergrund, die das Maximilian-Kolbe-Werk vor rund 35 Jahren mitgegründet hatte. Mit einem jährlichen Zuschuss sorgen wir dafür, dass zahlreiche Überlebende in der Ambulanz Hilfe und Zuwendung finden. "Bei Begegnungen und Hausbesuchen war deutlich zu spüren, wie wichtig die Arbeit der Ambulanz mit ihren Angeboten psycho-sozialer Betreuung und medizinischer Versorgung für die Krakauer Überlebenden ist", sagt Christoph Kulessa.

Marian Kalwary setzt sich für Holocaust-Überlebende in Warschau ein.
Zu Besuch in der Ambulanz "Pro Vita et Spe" in Krakau.
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